Masseneinwanderungsinitiative

Volkswirtschaftliche Konsequenzen für die Schweiz

Eine Abstimmung spaltet die Schweiz Das Schweizer Volk hat entschieden, dass der Umfang der Zuwanderung in die Schweiz einer Kontrolle unterstellt wird und damit auch das bisherige liberale System der Personenfreizügigkeit mit der EU aufzugeben. Damit wird die Zusammenarbeit mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU, vor eine grosse Herausforderung gestellt. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wird auf verschiedenen Ebenen Konsequenzen für die Schweiz haben. Sehr viel hängt dabei von der Umsetzung der Initiative und den Ergebnissen der entsprechenden Verhandlungen ab. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die konkreten Auswirkungen noch nicht genau absehbar oder gar zu quantifizieren. Die volkswirtschaftliche Relevanz ist jedoch nicht zu unterschätzen!
Welches sind die aus volkswirtschaftlicher Sicht relevantesten Konsequenzen? Sie sollen in dieser Stellungnahme in einem ersten Ansatz aufgezeigt werden. Dabei werden auch die dahinterliegenden Wirkungsmechanismen kurz diskutiert und erste Überlegungen zu Unterschieden in der Betroffenheit angestellt. Damit hat BAKBASEL auch bereits ein erstes Gedankengerüst für die jetzt anstehende Umsetzung der Initiative und die dabei zu beachtenden Themen entwickelt.
„Ohne Zweifel wird der Entscheid des Schweizer Souveräns Kosten für die Schweizer Volkswirtschaft mit sich bringen“, meint Martin Eichler, Chefökonom von BAKBASEL „Der Souverän hat diese Kosten in der Entscheidung bewusst akzeptiert.“ Wenn man sich mit den möglichen Kosten dieser Initiative aus volkswirtschaftlicher Sicht beschäftigen will, so muss man sich die nachfolgenden Fragen stellen.

Inwiefern wird die Schweizer Wirtschaft durch die jetzt entstandene Unsicherheit beeinträchtigt?

Wie auch immer die Umsetzung der Initiative erfolgt, wird für eine gewisse Zeit erhebliche Unsicherheit darüber herrschen, wie das neue Regime in der Zuwanderung und damit die Verfügbarkeit von Arbeitskräften aussehen wird. Hinzu kommt, dass die Reaktion der europäischen Partner der Schweiz, insbesondre der EU selbst, auf die entsprechenden Veränderungen noch offen ist. Hier können die wirtschaftlichen Auswirkungen potenziell weit über die Verfügbarkeit von Arbeitskräften hinausgehen.
„Unsicherheit ist jedoch Gift für die Konjunktur!“ meint der Prognosechef von BAKBASEL, Alexis Bill Körber. „Dies wissen wir nicht erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009.“ Die aktuellen günstigen Einschätzungen für die konjunkturelle Entwicklung der Schweizer Wirtschaft für 2014 und 2015 beruhen zu einem erheblichen Mass auf einem Wiederanspringen der Investitionstätigkeit. Gerade Investitionen leiden jedoch besonders unter Unsicherheit; hier muss möglicherweise eine Neueinschätzung der konjunkturellen Lage erfolgen.1
Spürbare Auswirkungen sind auch im Bereich der Unternehmensansiedlungen zu befürchten.2 Hier herrscht bereits eine Reihe von Unsicherheiten, unter anderem durch die internationale Steuerdiskussion und die Unternehmenssteuerreform III. Mit der Annahme der Initiative vergrössern sich die Unsicherheiten über die weitere Positionierung des Standorts Schweiz für ansiedlungswillige Unternehmen nochmals erheblich. Im besten Fall verzögern sich Ansiedlungen, im schlechtesten Fall fallen Standortentscheidungen zuungunsten der Schweiz.

Wer trägt den Mehraufwand für die administrative Abwicklung?

Die Einführung einer Kontingentierung wird zu zusätzlichem administrativem Aufwand führen, sowohl auf Seiten der Unternehmen wie auch auf Seiten des Staats. Zu diesem Aufwand zählen auch die Kosten, die durch die mit dem entsprechenden Prozess verbundenen Verzögerungen entstehen.
Viel hängt von der konkreten Umsetzung ab, die administrativen Kosten sollten insgesamt jedoch im Rahmen gehalten werden können. Dabei ist nicht die gesamte Wirtschaft gleichmässig davon betroffen. Gerade KMU dürften den damit verbunden Zusatzaufwand zu spüren bekommen.

Einbussen in Wettbewerbsfähigkeit und im strukturellen Wachstumspotential der Schweiz?

Die Verfügbarkeit passend qualifizierter Arbeitskräfte wird von Unternehmen häufig als einer der wichtigsten Faktoren in der Standortentscheidung genannt. Gerade die sich dynamisch entwickelnde Schweizer Volkswirtschaft und der hochattraktive Standort Schweiz sind auf genügend und entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen.
In wie weit die Verfügbarkeit von Arbeitskräften durch die Initiative tatsächlich eingeschränkt wird, hängt natürlich stark von der konkreten Umsetzung ab. Klar ist jedoch, dass es in jedem Fall zu einer Einschränkung gegenüber heute kommt. Dies wirkt sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in der globalisierten Wirtschaft aus, wenn auch bei einer Umsetzung mit Augenmass nicht mit einem Einbruch der heute sehr hohen Wettbewerbsfähigkeit zu rechnen ist. Die Wettbewerbsfähigkeit hängt auch eng mit der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zusammen. Darüber hinaus würde sich eine Behinderung der akademischen Forschungszusammenarbeit mit Europa, einerseits durch Kündigung bestehender Forschungs-abkommen, andererseits durch Verringerung des Forscheraustauschs, ebenfalls negativ auf die Innovationskraft auswirken. Letztendlich wirkt sich dies auf das langfristige Wachstumspotential der Schweizer Wirtschaft und den Wohlstand der Schweiz nachteilig aus.
Insgesamt sind die möglichen Kosten, die die Initiative hier verursachen könnte, hoch. Sie können durch eine Umsetzung mit Augenmass jedoch stark reduziert werden – worüber die Schweiz, im Gegensatz zum nachfolgenden Punkt, autonom bestimmen kann.

Ist die Zusammenarbeit mit und die wirtschaftliche Integration in Europa gefährdet?

Das Freizügigkeitsabkommen ist ein integraler und wesentlicher Baustein der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und EU. Gleichzeitig bildet die Personenfreizügigkeit eine der wesentlichen Säulen der europäischen Integration. Martin Eichler: „Es ist nicht anzunehmen, dass die Schweizer Entscheidung ohne weitere Konsequenzen in Europa bleibt.“ Die folgenden Themen könnten betroffen sein:

  • Gesamtpaket der bilateralen Verträge, deren Aufhebung (Guillotine-Klausel) mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen verbunden wäre
  • Unklarheit über die Weiterführung laufender Verhandlungen, die auch für die Schweizer Wirtschaft von erheblicher Bedeutung sind (z.B. Energie)
  • Zukünftige Entwicklung der Zusammenarbeit
  • Image der Schweiz und Bereitschaft zur Akzeptanz von Sonderlösungen mit der Schweiz

Wie hoch die Kosten in diesem Themenbereich ausfallen werden - der je nachdem auf alle bereits diskutierten Punkte wieder erhebliche Rückwirkungen hat - ist aus heutiger Sicht noch nicht abschätzbar. Langfristig könnte es aber zu erheblichen Wachstums- und Wohlstandseinbussen kommen. Dazu kommt, dass die Schweiz das Ausmass dieser Kosten nur bedingt durch die eigenen Entscheidungen in der Umsetzung steuern kann; Viel wird von der Reaktion der verschiedenen Partner in Europa abhängen.

Gehen « Good Will » und die politische Stabilität der Schweiz verloren?

Ein Standortvorteil der Schweiz ist der gute Ruf und die hohe politische Stabilität. In wie weit sich dieses positive Image der Schweiz ändert und die Schweiz als Standort für Unternehmen als weniger zuverlässig wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten. Zusammen mit anderen Entscheidungen der letzten Jahre könnte sich allmählich auch ein Bild von der Schweiz durchsetzen, das als weniger zuverlässig und als weniger liberal wahrgenommen wird. Eine solche Wahrnehmung wäre dem Schweizer Standort abträglich, unabhängig von den Fakten.

Welche Branchen werden belastet?

Obwohl die genauen Kosten der Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt noch offen sind, lässt sich doch bereits absehen, dass diese nicht gleichmässig verteilt sein werden. Stellvertretend für eine Reihe von Verteilungsfragen wird hier ein erster Blick auf die Betroffenheit der verschiedenen Branchen geworfen.
Von einer Verschlechterung der Beziehungen zu Europa und einer Kündigung des Pakets der bilateralen Verträge wären in besonderem Ausmass die exportorientiert produzierenden Industrien betroffen, darunter insbesondere die MEM-Industrie. Hier kommen verschiedene Faktoren zusammen, neben der konjunkturellen Komponente durch die Unsicherheit auch die in den Bilateralen enthaltenen Vereinbarungen zu technischen Handelshemmnissen und zur Forschungszusammenarbeit.
Von einer möglicherweise geringeren Verfügbarkeit von ausländischen Arbeitskräften sind das Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch Landwirtschaft und Tourismus betroffen. Durch den Einbezug der Grenzgänger sind auch die Perspektiven von regional in Grenznähe konzentrierten Branchen wie z. B. die Uhrenindustrie berührt. Weniger direkte Betroffenheit sehen wir hingegen bei den forschungs- und innovationsintensiven Industrien wie beispielsweise der Pharmaindustrie, da sich hier auch in einem Bewilligungs- und Kontingentierungssystem der Bedarf decken lassen sollte. Im intensiven Wettbewerb der Pharma-Standorte können jedoch bereits kleine Unterschiede entscheidend sein.
Der Schweizer Finanzsektor steht derzeit unter erheblichem Druck und muss ein neues Geschäftsmodell entwickeln. Wie Michael Grass, Bereichsleiter, meint: „In diesem Prozess der Neuorientierung könnte sich eine verschlechterte Beziehung zur EU negativ bemerkbar machen, beispielsweise wenn es um Lösungen zum freien Marktzugang innerhalb der EU geht“.
Weitere Branchen, die sich besonderen Herausforderungen stellen müssen, sind der Handel – ein erheblicher Teil des Konsumzuwachses der vergangenen Jahre ist der Zuwanderung geschuldet - der Verkehr mit den entsprechenden Abkommen oder der Immobilien- und Bau-sektor.
Fazit Das Schweizer Volk hat entschieden, die bisher liberalen Zuwanderungsregeln mit der EU restriktiver zu handhaben. Die damit verbundenen Kosten werden in Kauf genommen. Wie hoch diese Kosten im wirtschaftlichen Bereich ausfallen werden, hängt jedoch stark von der konkreten Umsetzung der Initiative ab. Sie lassen sich heute noch nicht abschliessend quanti-fizieren. Martin Eichler zu den Kosten der Masseneinwanderungsinitiative: „Kurzfristig belastet vor allem die Unsicherheit, während langfristig der Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum in Frage gestellt wird.“ Es zeichnet sich jedoch bereits ab, in welchen Bereichen die Kosten besonders bedeutend ausfallen könnten. Kurzfristig ist es vor allem die Unsicherheit, die die Kosten durch eine geringere Investitions- und Ansiedlungsbereitschaft in die Höhe treiben dürfte. Zentral ist hier, möglichst zügig Klarheit zum weiteren Vorgehen zu schaffen. Längerfristig können hohe Kosten vor allem durch eine geringere wirtschaftliche Integration der Schweizer Volkswirtschaft in Europa entstehen. Zudem lässt sich die Höhe dieser Kosten nur bedingt durch die Schweiz selbst steuern – viel hängt von der Reaktion der europäischen Partner ab, für die die Personenfreizügigkeit eine der tragenden Säulen der Integration darstellt. Weniger gravierend, zumindest bei einer Umsetzung der Initiative mit Augenmass, scheinen die Kosten zu sein, die durch den administrativen Mehraufwand entstehen sowie durch eine Verringerung der Verfügbarkeit der benötigten Arbeitskräfte. Viele der Stützen des Schweizer Wohlstands und Wachstums sind betroffen: Alle vier im internationalen Wettbewerb stehende Schlüsselbranchen der Schweiz (vom Finanzsektor über die Pharma- und die MEM-Industrie bis hin zum Tourismus), die für einen Grossteil der Exporte verantwortlich zeichnen, sind zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Aber auch auf weitere zentrale Branchen wie das Baugewerbe, den Handel oder das Gesundheitswesen kommen potenziell schwierigere Zeiten zu. Bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative sollte darauf geachtet werden, die Kosten für die Volkswirtschaft möglichst gering zu halten und damit die Basis des Schweizer Wohlstands so wenig wie möglich zu belasten.

Martin Eichler                                    Marc Bros de Puechredon

Vorsitzender der Geschäftsleitung

Chefökonom  

martin.eichler@bakbasel.com

 marc.puechredon@bakbasel.com
 
1. BAKBASEL wird diese Neueinschätzung spätestens im üblichen Prognosezyklus Anfang März vornehmen. Sollte sich bereits vorab ein erheblicher Anpassungsbedarf abzeichnen, wird BAKBASEL ihren Kunden ein entsprechendes Update der Prognosen zur Verfügung stellen.
2. Neuansiedlungen von Unternehmen sind im Grunde genommen nichts anders als eine spezielle Form einer Investi-tionsentscheidung.
10.02.2014 | Autor redaktion   -> Drucken

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