Zahlen, Fakten und Meinungen zur Lage

Die griechische Tragödie

Griechenland ist in den letzten Jahren mit Krediten überschwemmt worden, es hat Milliarden-schwere Vergünstigungen erhalten. Ein grosser Teil der Kredite sei an europäische Schuldner zurückgeflossen, doch weniger als kolportiert. Auch die Bevölkerung habe vom Geldzufluss profitiert. Das wirkliche Problem der Volkswirtschaft sei, sie leide an der «holländischen Krankheit» und habe den Weg zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit nicht gefunden. Zu dieser und vielen weiteren Erkenntnissen kommt die Studie des Münchener Ifo Instituts «Die griechische Tragödie». 

Griechenland-Tragödie öffentliche Kredite - ifo  
 * Verbindlichkeiten der griechischen Zentralbank gegenüber dem
Eurosystem wegen überproportionaler Banknotenausgabe.
** Im Rahmen des Securities Markets Programme (SMP) von
anderen Notenbanken des Eurosystems erworbene griechische
Staatsanleihen abzüglich der durch die griechische Notenbank
im SMP erworbenen Staatsanleihen anderer Länder. (Weitere 
Erläuterungen s. Download)
 
 
Griechische Tragödie - Arbeitslosigkeit - ifo  
 Quelle: Eurostat, Datenbank, Bevölkerung und soziale Bedingungen,
Arbeitsmarkt, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.
 
Griechische Tragödie - Wirtschaftsaktivitäten - ifo  
 Quellen: Eurostat, Datenbank, Industrie Handel und Dienstleistungen,
Konjunkturstatistik, Industrie; dieselbe, Wirtschaft und Finanzen,
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (ESVG 2010), Vierteljährliche
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Hauptaggregate des BIP;
dieselbe, »Schnellschätzung für das erste Quartal 2015«,
Produktion: Gleitender 5-Monatsdurchschnitt.
 
Griechischer Tragödie - BIP-Prognosen und Realität - ifo  
Ist-Entwicklung 2005 bis 1. Vierteljahr 2015 und Vergleich mit den
IWF-Frühjahrsprognosen 2010 bis 2015.
a) Tatsächliches Bruttoinlandsprodukt; 2005–2013: Jahresdaten;
ab 1. Quartal 2014: Quartalsdaten; Rechenstand: Mai 2015.
b) Jeweilige Frühjahrsprognose. (Quellen s. Download)
 

Griechenland steht vor einer epochalen und vielleicht wegweisende Entscheidung: Soll es das letzt Angebot seiner Kreditgeber annehmen oder nicht? Als Konsequenz einer Ablehnung scheinen der Austritt aus dem Euroraum und die Einführung der Drachme unausweichlich, nicht indes der Austritt aus der EU. Als Vorteil einer solchen Entscheidung ist in die Waagschale zu werfen, dass das Land damit zur Selbstbestimmung seiner Währungspolitik zurückkehren würde,was mit einer Abwertung der Währung im Vergleich zum Euro um 30 bis 50 % einhergehen würde. Genau das darf als Voraussetzung verstanden werden, dass Griechenland seine Internationale Wettbewerbsfähigkeit langsam aber sicher wiedererlangen und neue Arbeitsplätze schaffen könnte.

Ein solches Szenario dürfte von ausländischen Touristen, aber auch von Investoren genutzt werden, sich das Land näher anzusehen. Ohne Grexit sieht die Lage sehr viel schwieriger, wenn nicht hoffnungslos aus. Inzwischen ist in den Medien sowie unter den Politikern und Ökonomen der Streit entbrannt, wem die Hauptschuld an der verfahrenen Situation zuzuschreiben sei. Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich. Wer die aktuelle Studie «Die griechische Tragödie» von Prof. Hans-Werner Sinn, Leiter des Münchner Ifo Instituts, studiert, erhält eine kommentierte und gleichzeitig weitgehend überzeugende Zusammenfassung der seit Jahren schwelenden, nun aber eskalierenden Geschichte und jede Menge Zahlen und Querverweise auf publizierte Äusserungen diverser Beteiligter und Betroffener.

325 Mrd. Euro gingen zu je einem Drittel an...

Klar wird, Griechenland hat bis Ende März 2015 325 Mrd. Euro an Krediten erhalten, von der EU, dem IWF und der EZB. Dazu Vergünstigungen über verbilligte oder erlassene Zinsen etc. In Höhe von rund 50 Mrd. Euro. Ein beachtlicher Teil der Kredite ist tatsächlich für die Rückzahlung von Schulden an ausländische Schuldner verwendet worden, aber bei weitem nicht nur 10%, wie der griechische Finanzminister verlautbaren lies. Die Studie unterlegt mit Zahlen, «dass von den öffentlichen Kreditmitteln, die Griechenland während der Krise bekommen hat, ein Drittel der Finanzierung der griechischen Leistungsbilanzdefizite, ein Drittel der Tilgung von griechischen Auslandsschulden und ein Drittel der Vermögensanlage von Griechen im Ausland diente.»

Und was hat es genutzt?

Die Studie geht auch der Frage nah, inwiefern die Kredite den Griechen geholfen hätten, ihr angeschlagenes Schiff auf Kurs zu bringen. Das war schliesslich unter den EU-Ländern vereinbart, dass mit den Mittel Zeit für eine Gesundung gekauft werde – analog zum Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, als sie den Euro-Frankenkurs für eine gewisse Zeit mit einer Obergrenze belegte und damit Hilfe zur Selbsthilfe gewährte. Zahlen über die Entwicklung der griechischen Wirtschaftstätigkeit und der Arbeitslosigkeit geben eine klare Antwort auf die Frage nach der Wirkung: In beiden Fällen wurden die mit der Kreditgewährung verbundenen Prognosen bei weitem verfehlt. Erst ab 2013 wurden leichte Verbesserungen der jeweils aktuellen Situation verzeichnet, und die sind inzwischen wieder abgewürgt worden. Die Umsetzung von Reformen blieb weit hinter den Vereinbarungen und Hoffnungen zurück, was der Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit zuwiderlief.

Ganz anders seien diese Prozesse in Irland verlaufen, wenn auch früher. Irland habe sich – so Sinn – mit eigener Kraft und unter harten Entbehrungen und einer dramatischen Preissenkung der heimischen Faktor- und Güterpreise in die Wettbewerbsfähigkeit zurück katapultiert. Griechenlands Lohnkostenniveau im verarbeitenden Gewerbe sei mit 14.7 Euro heute noch doppelt so hoch wie das in Polen.

«Holländische Krankheit» als Erklärung

Als Grund für die Unfähigkeit des Landes, den Weg in die Erstarkung der eigenen Kräfte zu finden, macht Prof. Sinn die «Holländische Krankheit» aus. Damit wird unter Ökonomen ein Mechanismus verstanden, der auf eine Entwicklung in Holland in den 1960er-Jahren verweist. Als Holland damals auf Erdgas stiess, wuchsen die Löhne schneller als die Produktivität der Wirtschaft. Damit verlor das Land aber an Wettbewerbsfähigkeit auf vielen anderen Gebieten. Erst als die Löhne unter dem Druck der nachlassenden Gasförderungen wieder zurechtgerückt wurden, gelang es, die verlorene Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerlangen. Doch das dauerte Jahre.

Die Tragödie als Lehrstück für die Zukunft?

Die griechische Tragödie ist noch längst nicht am Ende. Sie wird das Land, aber auch die EU weiterhin in Atem halten, egal wie die Abstimmung ausgeht. Doch die Schuld an der Misere den europäischen Instituten und Politikern in die Schuhe zu schieben, wie das von Ökonomen und Medien vermehrt geschieht (im Nachhinein ist schliesslich jeder schlauer), scheint mir zu einfach. Beide Seiten haben zur Verhärtung beigetragen und eine Lösung bislang verunmöglicht – sofern es eine solche Lösung überhaupt gibt. Der Euro wird einen Austritt Griechenlands verschmerzen und vielleicht wieder an Stabilität zurückgewinnen, sofern alle anderen Probleme, die ihm zu schaffen machen, zielführend angepackt werden. Das Gleiche gilt für die EU, die Griechenland nicht fallen lassen wird. Warum auch? Immerhin könnte die griechische Tragödie dazu beitragen, dass die europäischen Staaten und Institutionen erkennen, dass sich mit Krediten und anderen Verzögerungsmassnahmen keine Wettbewerbs- und Verschuldungsprobleme der Mitgliedsstaaten lösen lassen. Doch die harren an anderen Orten einer Lösung. Rausschieben führt - das sollten nun alle erkannt haben - nur zu einer Verschlimmerung der Situation.

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02.07.2015 | Autor Jörg Naumann   -> Drucken

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